Zehntausend Stunden Üben

Beitrag von Rahim Taghizadegan in der Frankfurter Sonntagszeitung vom 1. Juni 2008 über das Handwerk als Seele des Unternehmertums. Hier mit einigen Auslassungen wiedergegeben, wo er eine allgemeingültige, über das Handwerk hinausreichende Lebenseinstellung beschreibt. Der Autor leitet das Institut für Wertewirtschaft in Wien.

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Das lateinische Opus steht für Werk und Bedürfnis und teilt den Wortstamm op/ob mit dem deutschen Üben, der nicht nur Werken, sondern auch ehren bedeutet und die Ausübung einer guten Tat oder einer kultischen Handlung umfasst.
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Während Augustinus die Arbeit hauptsächlich (...) als freudige Fortsetzung des "göttlichen Schöpfungswerkes" sah, überwog seit dem Spätmittelalter die Deutung der Arbeit als "labour". (Die deutsche Bedeutung des lateinischen Verbs laborare (Imperativ: labora) ist: arbeiten, leiden, leiden an, sich anstrengen, in Not sein und sich abmühen.Einfügung aus Wikipedia von Konfusius) Die Arbeit als Mühsal ist ein Mittel, unsere Ziele zu erreichen - etwa das täglich Brot. Arbeit als Werk hingegen ist auch ein Zweck für sich. Dieser Unterschied hat nichts mit der Mühe der Arbeit zu tun. Das Werk kann mühsam sein, und für das Schaffen des Werks nehmen wir oft wesentlich mehr Mühsal in Kauf als für andere Zwecke. Doch die Arbeit als reines Mittel ist nur Mühsal, das Werk ist mehr: nämlich selbst Ziel.

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Im Beruf liegt ein Zweck an und für sich, ein Zweck unserer Existenz, nämlich auf eine besondere Weise anderen Menschen dienen zu können. Der Berufene ist niemals vollends auswechselbar, sein Beruf eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Facette seiner einzigartigen Persönlichkeit.

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Die Meisterlichkeit oder Meisterschaft ist eine Lebenseinstellung, die am besten durch die von ihr umfassten Aspekte beschrieben werden kann:
Das ist zum ersten die Lehre: Der Weg zum Meister beginnt mit dem Lernen -und hört nie damit auf. Lernen bedeutet die Suche nach einem Lehrer, der in der Regel bereits Meister ist und als Mentor und Vorbild dabei helfen kann, selbst Meisterschaft zu erreichen.
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Um ein Meister zu werden, bedarf es der Übung, in der Regel ungefähr 10.000 Stunden. Das entspricht ungefähr einem Jahrzehnt mit drei Stunden Übung pro Tag ...
Das Üben selbst ist ein Ritual und will als solches Zelebriert werden. Der Lehrling auf dem Weg zur Meisterschaft beginnt die Wiederholung zu lieben und in der Übung einen Zweck an sich zu sehen. Wer darin nur ein Mittel sieht und stets auf die bezweckte Verbesserung der Fertigkeiten schielt, wird kaum die nötige Geduld aufbringen. Denn die Verbesserung verläuft nicht gleichmäßig; über lange Zeiträume scheint kein Fortschritt spürbar, bis man dann plötzlich und unvermutet bemerkt, dass man eine neue Schwelle passiert hat.
Drittens hat der Weg zur Meisterschaft eine transzendente Komponente und weist über den Einzelnen hinaus. Es ist ein Weg der Sublimierung des Egos zugunsten der ganzen Persönlichkeit. Bequem ist dieser Weg selten, doch je größer der Widerstand, desto bedeutsamer der Schritt. Der wahre Meister setzt das Üben auch nach dem Erreichen der Meisterschaft fort, mit der selben Bescheidenheit und Hingabe wie am ersten Tag. Denn sein Blick gilt nicht dem Ziel an sich, sondern dem Pfad. Diese Pfadorientierung bringt ihn weiter und lässt ihn größere Ziele erreichen als die verbissenste "Zielorientierung".
Man wird nicht zum Meister, sondern ist es - lebt es als Einstellung. (...) noch niemand ist im Medizinstudium Arzt "geworden". Wer angestrengt auf das Werden wartet, wird es nie sein. Tatsächlich gibt es nur einen Weg, etwas oder jemand zu sein, das oder der man noch nicht ist: es zu sein. Wer nicht sein kann, kann nie werden.

Auch der größte Meister macht Fehler, und auf dem Weg sind die Fehler stets zahlreicher als die Erfolgsergebnisse. Der Meister jedoch führt auch nach Hunderten von Fehlern den nächsten Schritt im vollkommenen Selbstverständnis aus, sein Bestes zu geben; irgendwann wird es ausreichen, um das Hindernis zu überwinden. Dieses zuversichtliche Selbstverständnis unterscheidet den wahren Meister von dem, der bloß davon träumt.

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Menschen, die nur Mittel nachfragen, die also meinen, zum Leben bloß Mittel zu benötigen, sind traurige Existenzen. Güter können unserem Leben Bedeutung geben, indem wir in ihnen auch Zwecke an sich sehen. Diese Güter sind uns dadurch etwas Besonderes. Das Besondere ist gesondert und eigen, daher in der Regel keine Massenware.(...)
Das Produkt, das auch Zweck ist, ist Ausdruck unserer Persönlichkeit. Seine Qualität im eigentliche Wortsinn ist die Eignung eines Erzeugnisses als dieses Besondere. Es ist keine objektivierbare und standardisierbare Eigenschaft. (...)

"Seele" ist das Immaterielle, das den Dingen besondere Bedeutung gibt, die über das Materielle hinausreicht: einen besonderen Bedeutungszusammenhang, eine besondere Sinnorientierung. (...)
Die "Seele der Güter" mag etwa darin bestehen, besonderen Menschen etwas Besonderes zu bedeuten, Identität zu vermitteln, Authentizität zu verkörpern oder die Liebe des Erzeugers auszustrahlen. Auch in einer zunehmend seelenlosen Welt lässt sich das menschliche Bedürfnis nach Sinn niemals gänzlich abtöten - vielmehr entwickelt es sich zur immer dringenderen Sehnsucht.
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Nachtrag: der Artikel in der FS, der hier gekürzt wiedergegeben ist, ist wiederum ein Auszug aus einer Analyse über das Handwerk, welche hier komplett als pdf Datei geladen werden kann. Mit Dank an den Autor

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