Die Rückkehr des Meisters


 Im Westen spricht man seit den achtziger Jahren gern davon, daß aufstrebende ostasiatische Staaten, die vor den pluralistischen Konsequenzen der Moderne zurückschrecken, beim „Konfuzianismus” Zuflucht suchen: als einem verordneten Überbau über der kapitalistischen Realität.
Auch in China findet sich jetzt ein Vordenker, der in dieses Schema passen könnte. Ein Lehrer, dessen Name ironischerweise die gleiche Umschrift hat wie der von Jiang Qing, die für ihre kulturrevolutionären Anti-Konfuzius-Kampagnen und auch sonst berüchtigte Mao-Witwe, ruft kaum verhohlen dazu auf, den Konfuzianismus zu einer Art Staatsreligion zu erheben. China werde sich mit seiner Eigenart auf Dauer nicht gegenüber dem Westen und dessen Christentum behaupten können, wenn es nicht seine eigene „Religion” unter besonderen staatlichen Schutz stelle. Die gesamte Nation solle auf diesen kulturellen und spirituellen Konsens verpflichtet werden.
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Doch die Bewegung ist alles andere als einheitlich, und hinter den ähnlich klingenden Begriffen der verschiedenen Initiativen verbirgt sich ein grundsätzlicher Konflikt. Verfechter einer neu zu erfindenden Staatsreligion werden von den Kolumnisten staatlicher Zeitungen mit gutem Grund zurückgewiesen. Doch deren Ideologiekritik ließe sich auch auf die staatliche Bemühung anwenden, Konfuzius in den Dienst der Politik zu nehmen, beliebig benutzbar als Instrument zur Hebung der öffentlichen Moral: Das Fundament soll weiter die Kommunistische Partei bilden, nur die aktuelle Ausstaffierung darf konfuzianisch sein.
Zwischen beiden Systemen stehen die Versuche, die alte Kultur zu entideologisieren, ihre ursprünglichen Impulse zu vergegenwärtigen. Harmlos ist die konfuzianische Renaissance in keinem Fall. In dem Moment, da China im Begriff ist, Weltmacht zu werden, stellt sich dem Land die Frage, was seinen Boden ausmachen soll und was bloß die Dekoration.

Text: F.A.Z., 10.01.2006, Nr. 8 / Seite 31
Bildmaterial: picture-alliance/ dpa, AP

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