Bericht von Viviane Fluck aus Chengdu, Bilder Chinadaily:
Gestern um 14.28 fing es an. Ich saß mit einer Freundin auf der Couch und hörte eine neue CD an, als der Tisch anfing zu wackeln.
Meine Freundin dachte zuerst ich wäre die Übeltäterin und staunte über meine starken Waden, bis das Wackeln auch Couch und Buchregal erfasste.
Nun war klar, das ist weder ein Gebäude was neben uns abgerissen ist, oder meine unglaublich starken Waden, wir sind mitten in einem Erdbeben.
Schubladen öffnen und schließen sich wie von Geisterhand, das Wasser im Fischglas schwappt über und draußen ertönen die ersten Schreie.
Ich nehme meine Freundin an die Hand, schnappe mir Portemonnaie, Schlüssel und Handy und spring in die ersten Schuhe die vor der Tür springen. Als wir aus der Tür stürzen und ich diese in Panik versuche zu schließen, hab ich wirklich das Gefühl das Haus könnte jeden Moment über uns einstürzen.
Den klassischen comic relief bietet dann mein fünfzig jähriger Nachbar welcher in Speedo aus der Haustür stürzt.
Wir rennen weiter, Hand in Hand dem Tor unserer kleinen Nachbarschaft entgegen. Mit uns rennen Hunderte Chinesen. Mütter die ängstlich ihre Babys in den armen Halten, alte Frauen, die sich aufeinander abstützen.
Am Tor angekommen stehen wir etwas ratlos an der Kreuzung. Die Erde bebt weiter, obwohl wir uns nun etwas sicherer fühlen und die Stärke des Bebens hauptsächlich durch das Wackeln der Autos und Pflanzen merken.
In der Menge sieht man mehr lachende als weinende Gesichter. Erleichterung macht sich breit. Alle Häuser stehen noch und niemand scheint verletzt zu sein.
Auf den Straßen sind die Bewohner der Nachbarschaften, Supermarktangestellte und Kellner versammelt. Nach dem ersten Schock werden fast synchron tausende Handys gezückt.
Natürlich kann man durch die sofortige Überlastung des Handynetzes niemanden erreichen.
Wir laufen durch die Menge schießen ein paar Photos und versuchen unsere Freunde per Handy zu erreichen.
Nach zwanzig Minuten kehren wir in die Wohnung zurück, große Stücke des Putzes sind von den Wänden gefallen, aber abgesehen von einem sehr verstörten Hamster gibt es keine weiteren Schäden. So schreibe ich schnell eine Mail an meine Familie und Freunde in Deutschland, wunderbarerweise funktioniert das Internet.
Kaum spaßen wir dass uns das Erdbeben richtig schön aufgeweckt hätte, kommt das Nachbeben, wir rennen ein weiteres Mal zur Tür doch noch bevor wir diese erreichen, ist das Beben vorbei.
Kurz darauf gibt es noch zwei kaum spürbare Nachbeben und wir verlassen die Wohnung um uns etwas umzusehen und zu Abend zu essen.
Auf der Straße machen die Chengdu Chinesen ihrem Ruf, besonders gelassen zu sein alle Ehre.
Man hat kleine Stühle und Hocker auf die Straße geholt und nun sitzen sämtliche Einwohner dort und besprechen bei Erdnüssen und Sonnenblumenkernen das Erlebte.
Die Stimmung ist angespannt, aber ruhig.
Als ich ein weiteres Mal nachhause gehe und im Internet nach Informationen über das Beben zu schauen, erwartet mich nicht nur eine Flut von Mails aus Deutschland sondern auch die Nachricht, dass es gegen 22.00 chinesischer Zeit ein weiteres starkes Nachbeben geben soll.
Ich packe Pass, Jacke und Kamera und verlasse ein weiteres Mal mein Haus, diesmal um mich mit meinen Freunden auf einer Laufstrecke, welche in der Nähe meiner Wohnung liegt zu treffen und dort auf das Nachbeben zu warten.
Auf dem weiten Platz sitzen bereits zahlreiche Grüppchen, ausgerüstet mit kleinen tragbaren Radios, Bettdecken und teilweise Zelten.
Das ganze hat fast eine Festivalatmosphäre, wäre dort nicht die angstvollen Blicke auf die Uhr ab und an.
Es werden Wetten abgeschlossen wann das Beben eintrifft, doch bevor der Boden unter uns sich ein weiteres Mal bewegt, sickern langsam die Nachrichten aus den anderen Städten Sichuans durch.
Was bis jetzt wie ein eher lustiges Erlebnis erschien entpuppt sich bald als weitausgebreitete Naturkatastrophe. Zwei Schulen in einer Nachbarstadt sollen eingestürzt sein, 900 Schüler begraben.
Je mehr Nachrichten wir hören, desto mehr wird uns klar dass wir unglaubliches Glück hatten.
Wir warten weiter. Um 22.00 passiert nichts und nach kurzer Zeit lösen sich die ersten Gruppen auf um nachhause zu gehen. Als meine Freunde sich auch auf den Weg machen, setze ich mich ins Taxi und rase zur Uni.
Vor dem Ausländer Studentenheim hat sich auf der Wiese ein wahres Lager entwickelt. Studenten aller Nationalitäten haben Decken, Kissen und Rucksäcke nach Draußen gebracht und warten nun gemeinsam auf den Lauf der Dinge.
Geschichten werden ausgetauscht. Ein Freund wohnt im 26. Stockwerk, er sagt er kann nicht mehr zurückgehen in die Wohnung, so tief sitzt ihm der Schreck in dem Nacken, dass er umziehen will.
Andere versuchen immer noch erfolglos Freunde anzurufen.
Auch der Sportplatz der Uni ist komplett überfüllt. Zwischen Rikschas werden Plastikplanen gehängt, Zelte werden aufgestellt, andere schlafen auf dem Boden unter ein paar Regenschirmen.
Um Mitternacht gibt es ein von kaum einem gespürtes Beben.
Stündlich gibt es neue höhere Todeszahlen 7000 sollen es nun sein.
Langsam wird es ruhiger und wir schlafen unter einem sternlosen Himmel ein, bis wir um kurz vor vier von den Angestellten des Wohnheims geweckt werden. Es regnet und wir sollen unsere Betten nun in der Lobby aufschlagen.
Kaum sind wir im Gebäude kommt das Nachbeben. Die koreanischen Mitstudentinnen rennen laut kreischend raus der Rest folgt.
Ängstlich wird vor dem Gebäude gewartet. Als der Regen aufhört kehren die meisten Studenten in ihre provisorischen Betten auf der Wiese zurück bis es um 6.00 morgens wieder anfängt zu regnen.
Inzwischen sind wir in unsere Wohnung zurückgekehrt. Aus den Nachrichten erfahren wir, dass die Anzahl der Todesopfer auf 10.000 gestiegen ist. Chengdu ist mit einem Schrecken davon gekommen. Auch wenn es etwas über 300 Tote zu betrauern gibt ist dies bei einer Bevölkerung von 10 Millionen wenig. Trotzdem sind alle Schulen aufs weitere Geschlossen und wir werden übers Fernsehen aufgefordert nicht zur Arbeit zu gehen, oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.
Für 10.00 bis 12.00 gibt es eine weitere Erdbebenwarnung, doch alles bleibt ruhig.
Mittags falle ich ins Bett und verschlafe zwei seichte Nachbeben.
Inzwischen ist das komplette Ausmaß des Erdbebens klar und wir sind unglaublich erleichtert, das wir so viel Glück hatten und unglaublich traurig über die zahlreichen Todesopfer.
Der Ort in dem die Schulen eingestürzt sind, ist ein typischer Ausflugsort von Chengdu aus. Fast jeder von uns ist schon mal über die eingestürzte Brücke gegangen.
Während ich auf dem Bett sitze und diese Zeilen tippe geht ein leichtes Beben durch Bett Laptop und bringt die Lampe an der Decke zum zittern
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