aus der Stadt der Beben, wo unser Lieblingsgericht nun Wackelpudding ist (Anleitung: man nehme einen Schokopudding, stelle ihn auf den Tisch und warte

Hallo allerseits,
nach Monaten des Schweigens (zumindest emailtechnisch ansonsten hab ich ziemlich viel geredet) endlich mal wieder eine „kleine“ Mail aus Chengdu.
Erstmal, tausend Dank für eure großzügigen Spenden für die Erdbebenopfer, und tausend Dank hieße in diesem fall 0,6 dank pro 1 Euro, oder so in der Art denn insgesamt sind über 1000 Euro auf meinem Konto gelandet die ich nicht für Pizza sondern für Reis, Öl, Kerzen, Antimoskitomittel u.v.m. ausgegeben hab, das ganze natürlich nicht für meinen Wahnsinns Reisverbrauch sondern für die Menschen im Erdbebengebiet. Genauergesagt in den Dörfern der Bergregionen um Hongbaizhen (Photos gibt’s auch auf der flickr Seite von www.sichuan-quake-relief.org).
Inzwischen bin ich bei Sichuan Quake Relief (SQR) fest angestellt und werde immerhin für die Hälfte meiner Arbeit bezahlt, die andere Hälfte geb ich umsonst dazu, eine faire Aufteilung wie ich finde.
Da unser big boss, Peter Goff- auch Besitzer des Bookworms (unsere derzeitige Zentrale) sich seit einiger Zeit in Suzhou, Beijing und Australien herumtreibt bin ich sozusagen die NGO Karriereleiter zur zeitweiligen Big Bossin aufgestiegen.
Auch wenn ich in meiner Rolle als „alleinige Bestimmerin“ anfänglich noch etwas unsicher war so bin ich in meine neue Arbeit nun doch gut reingewachsen und delegiere täglich froh vor mich hin.
An manchen Tagen komme ich vor 23.30 nicht nachhause an anderen Tagen gibt es dann mal nicht soviel zu tun, dann gebe ich mir einen halben oder sogar fast einen ganzen Tag frei (das ist das tollste am Big Bossin sein, das selber freigeben, ist allerdings nicht so häufig).
Fast jede Woche fahre ich ins Bebengebiet und bringe freiwillige Helfer, die dort als Lehrer und Entertainer die Kinder auf andere Gedanken bringen, in kleine Dörfer. In letzter Zeit fahre ich hauptsächlich nach Qingchuan. Dort gibt es noch täglich Nachbeben und auf der Straße sieht man die Überreste der Lawinen welche diese direkt nach dem Erdbeben verschüttet haben. Inzwischen sind die Straßen mehr oder weniger geräumt, erste Reparaturen werden gemacht und die Gegenden in die ich fahre sind sicher.
Auch in Chengdu bebt es noch ab und an. Generell habe ich mich daran schon gut gewöhnt, aber manchmal realisiere ich immer noch nicht das dies nun ein Nachbeben ist und nicht meine unglaubliche Gewichtszunahme welche den Aufzug beim betreten so zum wackeln bringt (ja, das ist eine wahre Begebenheit).
Durch meine Arbeit lerne ich natürlich auch allerlei interessante Leute kennen. Letztens habe ich zum Beispiel mit dem britischen Generalkonsul Pizza gegessen, viele NGO Vorsitzende, Journalisten und Photographen habe ich auch schon kennengelernt und natürlich auch zahlreiche wundervoll herzliche Menschen im Erdbebengebiet.
Jedes Mal wenn ich aus Herrn Tangs (mein Lieblingsfahrer) Minivan steige werde ich herzlichst begrüßt und auch mal auf die eine oder andere Runde Baijiu (Chinesischer Schnaps mit über 40 Umdrehungen) eingeladen. Wenn ich dann gemütlich zurück in die Stadt fahre und mein Chinesischer Begleiter grün im Gesicht wird weiß ich wieder warum SQR eine Deutsche eingestellt hat, wir sind halt um einiges trinkfester ;-)
Ein Privatleben habe ich im Moment fast nicht, was inzwischen nicht mehr daran liegt das ich so unglaublich beschäftigt bin (das hat sich nämlich erst in der letzten Woche etwas beruhigt) sondern dass abgesehen von einem Freund (Matthieu aus Frankreich) alle Freunde Chengdu wie die Ratten das sinkende Schiff verlassen haben. Dies hat nichts mit dem Erdbeben zu tun (obwohl das auch einige mit weniger starken Nerven bestückte Menschen verscheucht hat), sondern damit das hier im Moment Sommerpause ist.
Die eine Hälfte meiner Freunde ist in ihre Heimatländer zurückgekehrt (einige für einen Monat andere für immer) und die andere Hälfte ist im Urlaub.
So habe ich die Stadt also ziemlich für mich und das einzige vertraute Gesicht ist mein eigenes, welches mir von den Postern der Bushaltestellen zulächelt.
Ende August wird sich das dann zum Glück schlagartig ändern, dann kommen nicht nur Ella und Daniel für ein Auslandsjahr nach Chengdu (juhuuuuu) sondern auch mein Mitbewohner wird wieder nach Chengdu kommen.
Bis dahin sind meine einzigen Mitbewohner unser Mäuserich Hillary (die Maus Obama ist leider abgehauen- nicht meine Schuld!) und das Landschildkrötenbaby von Bill, welches auf den wunderbaren Namen Oskar Per Augusten hört (eigentlich hört er noch nicht da drauf aber wir üben fleißig).
So, nun werde ich mich mal auf zum indischen Essen machen (nach 10 Stunden im Minivan gestern hab ich mir das verdient ;) und dann den Rest des Tages am Pool verbringen (heute hat mir meine Chefin- also ich- nämlich gesagt ich soll mal etwas ausspannen- meine Chefin und ich haben echt ein super Arbeitsverhältnis.
Ach, nun hätte ich die wichtigsten Neuigkeiten fast vergessen (Verdrängung???) am 2. Oktober 2008 erwarte ich dann am Düsseldorfer Flughafen eine Heerschar von freudigen Menschen mit Luftballons, Mozzarella und frischer Milch (das gibt’s in China nicht), denn dann werde ich nach 2 Jahren und einem Monat in China wieder Deutsche Erde betreten.

Liebste Grüße aus Chengdu,
Eure
Viviane / *Lucy*/ Big Bossin

P.s. bei NEON.de gibt’s noch einen meiner Artikel zu lesen, die Sinologie Zeitung der Kölner und der Leipziger Uni haben auch jeweils einen meiner Artikel gedruckt.
P.P.s. nein, ich habe kein einziges Spiel der Olympiade gesehen, hatte genug Einladungen, aber Olympia ist einfach zu… teuer, zu weit weg, zu uninteressante Sportarten (okay, hätte es Kung Fu gegeben), zu in Beijing, zu ….
P.P.P.s. für alle die meine Photos nicht bei 1live gesehen haben hier gibt’s auch ein paar: /

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